Kunst & Kultur
Das vollständige Gespräch mit Doris Rothauer zum Thema „Kunst, Kultur und Umwelt - ein Thema für philanthropisches Engagement?"
Ursula Seethaler (US): Frau Rothauer, wir freuen uns sehr, Sie als Themenbotschafterin für das Thema Kunst, Kultur und Umwelt gewonnen zu haben. Sie sind Strategie- und Impactberaterin, Expertin und Autorin im Kunst- und Kreativbereich. Ihre Mission ist es, gesellschaftlichen und sozialen Wandel durch Kunst und Kultur zu fördern und mitzugestalten. Ihr Motto ist “Transfer”, Transfer als Strategie. Wie kommt man zu diesem Motto?
Ich habe Wirtschaft studiert, mit einem postgraduate in Kulturmanagement, und ging zunächst die „klassische“ Karriere einer Kulturmanagerin. Das Studium hat mir geholfen, einen strategisch-analytischen Blick und ein Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge zu entwickeln. Das konnte ich nach dem Studium gut im Kulturbereich einsetzen. Meine wichtigsten Stationen waren die Wiener Secession und das Künstlerhaus Wien, das ich als Direktorin geleitet habe.
Es hat mich immer fasziniert, wie Künstler*innen und Kunstinstitutionen agieren, insbesondere im Vergleich zur Wirtschaft und zu anderen Bereichen. Gleichzeitig störte mich, dass Kunst als „gesonderter“ Bereich angesehen wird, der nichts mit der Realität zu tun hat. Es war mir immer wichtig, dass der Kunstbereich mit seinem gesamten Potenzial in allen Bereichen der Gesellschaft entsprechend wahrgenommen wird.
Später, als ich mich selbstständig machte, absolvierte ich eine systemische Beraterausbildung und fokussierte mich auf den „Transfer“ – auf das Arbeiten und Beraten an den Schnittstellen zwischen Kunst und anderen Bereichen, zunächst der Wirtschaft. Die Schnittstelle zum Sozialbereich und zur Philanthropie ergab sich durch Ashoka Österreich, wo ich das Visionary Program absolvierte. Als Beraterin unterstütze ich Kunstinstitutionen und Kunstschaffende in ihrer strategischen Weiterentwicklung. Themen wie Nachhaltigkeit, Inklusion und Diversität müssen strategisch angegangen werden. Mein Motto ist "designing and fostering impact" - Ich möchte die Wirkung von Kunst und Kultur mitgestalten und fördern.
US: Wie geht man mit dem Spannungsverhältnis Wirtschaft und Kunst um? Wie entsteht gegenseitiges Verständnis?
Eine intensive Beschäftigung mit Kunst und Kultur ermöglicht ein tieferes Verständnis von Kreativität und ihrer Wirkung im Leben ganz generell. Je mehr man liest, Ausstellungen besucht, ins Theater geht, desto besser versteht man die Kunst und ihre Fähigkeit, abstrakte und komplexe Inhalte emotional zugänglich zu machen und unseren Blick auf die Gesellschaft kritisch zu reflektieren. Man bekommt ein Verständnis dafür, was Kreativität bedeutet und was sie bewirken und verändern kann. Das kann auch in der Wirtschaft wichtig sein und ein gegenseitiges Lernen fördern.
US: Wie können Kulturinstitutionen Nachhaltigkeit und Umwelt thematisch fokussieren? Die Kunst ist frei.
Kunst und Kultur sind die Säulen gesellschaftlicher und menschlicher Weiterentwicklung. Die Kunst greift immer kritische Themen auf und verändert das Bewusstsein darüber, treibt Veränderung an. Man denke nur an die Emanzipation, Aids und jetzt den Klimawandel.
Nachhaltigkeit ist gegenwärtig eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen, und wenn Kunst und Kultur die Säulen gesellschaftlicher Entwicklung sind, dann ist Nachhaltigkeit ganz klar eines der wichtigsten Themen auch im Kunst- und Kulturbereich. Kunstinstitutionen müssen Vorreiter im Klimawandel sein und Bewusstseinsänderung mit vorantreiben. Kunstinstitutionen und Künstler*innen gehen dabei Hand in Hand. Wenn Kunstinstitutionen Ausstellungen zum Klimawandel machen, leisten sie Vermittlungsarbeit, um uns die Bandbreite der künstlerischen Arbeit zu den Themen zugänglich und verständlich zu machen.
Für Künsterl*innen ist Nachhaltigkeit relevant, weil der Klimawandel so wie für uns alle Teil ihres Alltags ist. Künstler:innen setzen sich stets mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander, sie greifen in ihren Arbeiten auch oft unangenehme oder tabuisierte Themen auf, sie hinterfragen und fordern uns in unserer Reflexionsfähigkeit heraus. Es ist eine zutiefst künstlerische Technik, ein Kernelement von Kreativität, sich kritisch damit auseinanderzusetzen wohin wir uns bewegen und entwickeln.
US: Was können Kulturinstitutionen tun, um gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen?
Kulturinstitutionen können das Bewusstsein und Verhalten der Menschen beeinflussen. Sie können Menschen dazu bringen, anders über bestimmte Themen nachzudenken und zu diskutieren.
Ich vergleiche es mit einer Wirkungstreppe: Menschen sehen etwas, in einer Ausstellung, im Theater, etc., sie fühlen sich angeregt, vielleicht sogar provoziert, denken darüber nach, erzählen zu Hause von ihren Erfahrungen, diskutieren darüber und beginnen, anders über bestimmte Themen nachzudenken.
Kulturinstitutionen haben Autorität und Anerkennung, weil sie öffentlich gefördert sind und viel im Bereich Community Building tun. Sie können mit ihrer Position viel bewegen. Ein gutes Beispiel ist die Tate Modern in London, die bereits 2019 den Klimanotstand ausgerufen hat und eine Lawine an Reaktionen ausgelöst hat.
US: Sie haben das Projekt „17 Museen – 17 SDG’s“ begleitet, wie ist es entstanden, warum wurde es durchgeführt?
"17 Museen 17 SDGs" ist eine Initiative von ICOM Österreich und entstand als Reaktion auf Corona, um die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung von Museen zu reflektieren. 17 Museen österreichweit wurden eingeladen, sich mit jeweils einem SDG auseinanderzusetzen und Projekte zu entwickeln. Der Prozess führte zu einem tiefgreifenden Umdenken, auch innerhalb der Organisationen, und zu spannenden Kooperationen und Vermittlungsprojekten.
Ich begleitete das Projekt und die Museen über ein Jahr lang. Viele Museumsdirektor*innen kannten die SDGs vorher nicht und stellten fest, dass es den Besucher*innen ebenso ging. Es ging also zunächst darum, die SDGs vorzustellen und bekannt zu machen. Die Museen entwickelten unheimlich kreative Projekte und ungewöhnliche Formate, wie man sie in einem Museum nicht unbedingt erwarten würde, zum Beispiel eine Tauschbörse und ein Repair Café, oder workshops zu Themen wie Migration, alternative Energiekonzepte, Biodiversität. Sie arbeiteten mit verschiedenen Besuchergruppen zusammen ebenso wie mit neuen Kooperationspartnern, vor allem aus dem Sozialbereich.
US: Welche Möglichkeiten gibt es für philanthrop engagierte Menschen oder Institutionen, mit Kulturinstitutionen zusammenzuarbeiten?
Alle Möglichkeiten! Kooperationen zwischen Kulturinstitutionen und Stiftungen sind in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern aber leider noch sehr selten. Vielleicht liegt es daran, dass das Potenzial der Kunst zu wenig erkannt wird. Das Potenzial liegt im kreativen Prozess, und was dieser Prozess auslöst, wenn man ihn gemeinsam geht.
Das Wichtigste ist das gemeinsame Entwickeln von Projekten, auf Augenhöhe. Es geht nicht (nur) um einen Geldtransfers. Stiftungen müssen kreativ mit Kulturinstitutionen zusammenarbeiten und Projekte von Anfang an mitgestalten. Wenn ein*e Künstler*in an einem Projekt beteiligt ist, wird die Diskussion automatisch kreativer und offener.
US: Was würden Sie der österreichischen Stiftungsszene empfehlen?
Sich mit potenziellen Partnern aus dem Kunst- und Kulturbereich vernetzen, voneinander lernen und ein besseres Verständnis dafür entwickeln, dass wir an denselben Themen arbeiten und im gleichen Boot sitzen.
US: Welche Leuchtturmprojekte gibt es in Österreich dazu?
Martin Essl setzt sich mit Zero Project für Inklusion und Barrierefreiheit ein und kooperiert dabei auch mit Kunstschaffenden und Kunstinstitutionen. Beispielsweise haben wir gemeinsam den „MuseumsGuide inklusiv“ herausgegeben, der 130 Museen österreichweit mit ihren Angeboten zu Barrierefreiheit und inklusiven Vermittlungsprogrammen vorstellt.
US: Wie erklären Sie sich die singuläre Stellung der Kunst?
Das ist historisch verankert. Eine von mehreren Erklärungen ist die Autonomie der Kunst, die sich ja auch in der Ausbildung wiederspiegelt und die „Außenseiterrolle“ rechtfertigt. Schaut man in die Kunstgeschichte, so waren die Künstler von der Antike bis in die Barockzeit hinein nicht autonomen, sie waren Auftragskünstler und sind von Fürsten und Königen bezahlt worden. Die Loslösung der Kunst vom Handwerk begann in der Renaissance, die Autonomie der Kunst ist ein Konzept des 18. Jahrhunderts, das die Freiheit der Kunst unabhängig vom Markt und von der Politik einforderte und mit der Begründung der ersten Kunstmuseen einherging. Man könnte auch sagen, die Kunst hat sich damit aus dem wirtschaftlichen und sozialen Geschehen „hinaus manövriert“. Heute steht dies wieder zur Diskussion und wird vielfach kritisiert. Künstler*innen arbeiten mannigfaltig, sowohl autonom als auch an Auftragsprojekten. Die Annäherung der angewandten und künstlerischen Disziplinen ist erneut stark im Gange, die Unterschiede sind weniger ausgeprägt als noch im 20.Jahrhundert, wir sehen heute eine enorme Bandbreite dessen, was Kunst sein kann und wie sie sich in wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen einbringt.
US: Das heißt, Kunst wurde lange Zeit auf ein Podest gestellt, wie ein Ausstellungsstück.
In Europa ja! in Amerika beispielsweise herrscht ein anderes System, aufgrund einer anderen und viel jüngeren Entwicklungsgeschichte. Es gab keine Könige und Fürsten, Kunst war und ist vornehmlich privat bzw. privatwirtschaftlich finanziert und Künstler zu sein, ein Beruf, ohne Berührungsängste zur Wirtschaft. Das sind völlig andere Zugänge. In den USA sind Künstler:innen viel aktivistischer als bei uns, sind sozial engagiert. Viele der soziale Initiativen, wie die Emanzipationsbewegung oder Black Lives Matter stammen aus der Kunstszene. In Amerika wird das Potenzial der Kunst sowohl von der Wirtschaft als auch der Philanthropie und dem Stiftungswesen massiv genutzt. Das amerikanische System ist für uns oft unverständlich und nicht erstrebenswert, und als Kommerzialisierung und Vereinnahmung gesehen. In Europa wäre es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen den Extremen zu finden. Künstler*innen sollten Teil des gesellschaftlichen Systems sein und die Annäherung muss stattfinden. Themen wie Klimawandel und Corona haben ein Umdenken in vielen Gesellschaftsbereichen hervorgebracht, auch im Kulturbereich. Die Kunst hat den Vorteil, dass sie Kreativität freisetzt und neue Perspektiven ermöglicht. Ohne Kunst und Kultur gibt es keine Entwicklung. Wenn Stiftungen Künstler:innen in die Umsetzung von Stiftungsanliegen dazuholen würden, wären manche wahrscheinlich überrascht, welche wirkungsvollen Ergebnisse kommen würden.
US: Welchen Rahmen braucht es, um sich auf kooperative Projekte einzulassen?
Gemeinsam auf den „Impact“, die Wirkung von Projekten zu schauen. Wir messen den Erfolg von Kunstprojekten und Kulturinstitutionen noch zu stark am Output – wie viele Besucher kommen, wie viele Presseberichte gibt es, etc. In den USA erstellen Kulturinstitutionen Impact-Berichte, das ist hier noch unüblich.
Obwohl es bereits ein Umdenken gibt, das begann mit Corona und der Frage, wie Kulturinstitutionen sich ohne Tourist*innen rechtfertigen können. Es kann in Zukunft nicht mehr nur darum, wie viele Menschen ins Museum gehen, sondern wie sie es verlassen. Was der Besuch bei ihnen bewirkt, sprich verändert. Stiftungen könnten durch Kooperationsprojekte helfen, gemeinsam mehr auf den Impact zu schauen, dies zum Ziel von Kooperationen zu machen. Das könnte ein wichtiger Beitrag sein, neben der Finanzierung.
US: Wo sollen Stiftungen und Mäzene sich Anregungen für Projekte holen?
An Kooperationen im Sozialbereich. Zum Beispiel setzt die Caritas spannende und wirkungsvolle Kooperationsprojekte um, wie die Kultur Buddys und den Superar Chor. Sie kooperieren mit Museen und beteiligen sich etwa an Bildungsarbeit zum Thema Migration. Oder die Volkshilfe. Dort hat man gemeinsam mit dem Künstlerhaus Wien ein Vermittlungsprogramm für Menschen mit Demenz entwickelt.
Anregung liefert auch die Stiftungslandschaft in Deutschland oder den USA, wo mit dem Kunst- und Kulturbereich massiv kooperiert wird. In Deutschland gibt es viele Stiftungen, die Kunst und Kultur fördern, meist thematisch fokussiert.
Büro für Transfer
Strategie- und Impactberaterin, Expertin und Autorin im Kunst- und Kreativbereich
„Die Transformationskraft der Kunst liegt in ihrer unendlichen Kreativität. Sie kann Anregung und Anstoß sein für die Gestaltung einer lebenswerten Umwelt.“
Doris Rothauer ist Wirtschaftswissenschaftlerin mit einem postgraduate in Kulturmanagement und einer systemischen Beraterausbildung. Nach 15 Jahren in leitenden Funktionen im Kulturbereich, u.a. als Direktorin des Künstlerhaus Wien, gründete sie 2006 das Büro für Transfer. Ihre Mission ist, gesellschaftlichen und sozialen Wandel durch Kunst, Design und Kreativität zu fördern und mitzugestalten. Sie ist u.a. Vorstandsmitglied der VIENNA DESIGN WEEK (seit 2006) sowie Autorin, u.a. von dem „Museums Guide inklusiv“ (2023) und „17 Museen 17 SDGs“ (2021).