Plastik in der Praxis

Das vollständige Gespräch mit Thilo Hofmann zum Thema „Plastik Herausforderungen und Chancen für eine nachhaltige Zukunft?“

Ursula Seethaler: Herr Hofmann, Sie sind Professor für Umweltgeowissenschaften an der Universität Wien und bauen aktuell den Environment and Climate Research Hub auf, bei dem aktuell 39 Professor*innen und 20 Nachwuchswissenschaftler*innen zusammenarbeiten, um Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsthemen interdisziplinär zu erforschen. Heute darf ich mit Ihnen als Botschafter und Themen-Pate des Projektes „Stiftungen als Akteure für Umwelt- und Klimaschutz“ ein Gespräch zum Thema Plastik & Mikroplastik führen. Es freut mich, dass Sie sich dafür Zeit genommen haben.

Zuletzt konnte man in vielen Medien lesen: „Ein Mensch isst pro Woche eine Kreditkarte Plastik.“ Keine schöne Vorstellung. Sie forschen seit langem im Bereich der Nanogeowissenschaft, Umweltschadstoffe und Mikroplastik. Seit wann wird das Thema Plastik bzw. Mikroplastik gesellschaftlich fokussiert?

Thilo Hofmann: Vor etwa 50 Jahren wurden die ersten großen Publikationen zu Nanotechnologie und zu Plastik im Meer veröffentlicht. Seit 20 Jahren gibt vor es vor allem in Nordamerika und in der EU umfangreiche Forschung zu den Umweltfolgen von Nanotechnologie (weitere Informationen). In Österreich war unser Department, das sich mit Nanotechnologie in der Umwelt beschäftigt, 2009 Mitglied des Österreichischen Aktionsplans. Das Thema Plastikverschmutzung wurde erst vor ca. 10 Jahren in der Breite aufgegriffen.

Das ist eigentlich ein sehr kurzer Zeitraum, wie lässt sich das begründen?

Warum Plastik nicht früher ein so starkes Bewusstsein erlangt hat, ist unbekannt. Ich habe mit einem engen Freund gesprochen, der eine große Werbeagentur in Deutschland mit 500 Mitarbeiter*innen leitet. Auch sie machen Kampagnen gegen Plastik. Es ist ein Thema, das durch Bilder unterstützt wird, zum Beispiel von Schildkröten im Plastik oder Fischernetzen. Manchmal bekommt ein Thema einfach ein Momentum, wenn NGOs oder Privatpersonen es in den Fokus rücken. Warum Plastik im Vergleich zu anderen Themen so viel Aufmerksamkeit bekommt, ist schwer zu sagen, ein Grund mag sein, dass es für uns sichtbar als allgegenwärtige Verschmutzung ist, anders als zum Beispiel Umweltgifte oder Antibiotikaresistenzen.

Es gibt viele Umweltprobleme, aber Plastik wird am häufigsten nach dem Klimawandel genannt. Wobei es jetzt nicht um eine Hierarchisierung von Problemen gehen soll. Plastik ist mit seinen Bildern seit rund 10 Jahren deutlich im Bewusstsein und in den letzten fünf hat sich das noch einmal verstärkt. Die Beschäftigung damit kommt – im Gegensatz zur Nanotechnologie – zuerst aus dem marinen Bereich.

Wie schätzen Sie die Mächtigkeit des Problemes ein?

Das Plastikproblem ist ein großes. Und es wird zunehmen. Wir produzieren inklusive synthetischen Textilfasern ca. 500 Millionen Tonnen Plastik im Jahr und die werden sich verdreifachen. Das ist also eine gigantische Menge.

Welche Dimension nimmt Plastik bei den weltweiten CO2 Emissionen ein?

4,6% der weltweiten Treibhausgasemissionen sind laut einer aktuellen Studie der Plastikproduktion zuzurechnen, das ist mehr als der gesamte Flugverkehr und das ist mehr als der gesamte Autoverkehr. Das ist in etwa so viel wie die Düngemittelproduktion auf diesem Planeten. Diese Zahlen sind so massiv, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir sie im Sinne eines Kreislaufes tatsächlich wieder zurückführen können. Die Hauptquelle für die Treibhausgasemissionen ist dabei nicht Erdöl, aus dem die meisten Kunststoffe hergestellt werden, es ist der Energieaufwand für die Herstellung und der wird überwiegend aus der Verstromung anderer fossiler Energieträger gedeckt. Und das zeigt wieder, dass grüne Energie der Schlüssel für die Reduktion des CO2-Ausstoßes ist.

Natürlich gibt es auch – aktuell noch ein geringer Prozentsatz – biobasierte Kunststoffe. Wenn Sie jedoch alles auf biobasierte Kunststoffe umstellen wollen, kommen Sie in die gleiche Bredouille wie mit der ersten Generation der E10-Fuels. Es stellt sich die Frage, wo sie Essen und wo sie Rohstoffe anbauen möchten? Ein sehr heikles Thema.

Was denken Sie, muss getan werden?

Es geht eigentlich darum, dass Plastik erst gar nicht in die Umwelt gelangt. End-of-Pipe-Lösungen wie Clean Ocean, bei denen der Abfall am Ende der Kette gesammelt wird, wenn es bereits zu spät ist, sind hilfreich, können aber nicht die Lösung sein. Es ist schwer genug, Plastik aus der Umwelt zu entfernen, aber das ist nicht genug.

 Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist der größte Hebel eigentlich der Verzicht.

© Hans Peter Heitzinger

Der sinnvolle Verzicht, möchte ich sagen. Kunststoff ist ein sehr gutes Material. Es ist auch in manchen Bereichen wieder gut verwendbar. Ich nehme gerne das Beispiel der Glasflasche für Mineralwasser. Ab einer gewissen Transportdistanz hat die Glasflasche einen höheren ökologischen Fußabdruck als die PET-Flasche, vorausgesetzt, sie haben ein sauberes PET-Recycling mit einem einzelnen Stoffstrom. Kommerziell muss natürlich auf das Einfärben verzichtet werden, dadurch würde die Flasche schwerer recycelbar sein. Hier sind dann klare politische Agenden von Nöten, die vorgegeben, wie eine PET-Flasche zu sein hat, um das Recycling sicherzustellen.

Sind die Lösungswege in Europa und in den asiatischen Ländern ohne Abfallbewirtschaftungssystem die gleichen, um aus dem Plastik-Problem herauszukommen?

Also Ideen – one fits all –, die zum Beispiel in Nigeria genauso funktionieren wie in Thailand oder Österreich, davon bin ich wenig überzeugt. Konkrete Lösungen können nur angepasst auf die jeweilige soziokulturelle und sozioökonomische Situation funktionieren. Es gibt aber Grundgedanken, die überall zutreffen. So hat z.B. die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO) das 6-R-Prinzip etabliert. Das erste "R" steht für Refuse, also Plastik dort, wo es nicht benötigt wird, zu vermeiden. Dieser Schritt ist wichtig, keine Doppel-, Dreifachverpackung oder Kleinverpackungen, also zuallererst wirklich versuchen, Plastik zu vermeiden.

Das Thema Recycling ist bei den Kunststoffen überall schwierig. Auch in Europa sind wir nicht sehr gut im Recycling von Kunststoffen (unter 30%). Österreich liegt bei 26%. Das Problem liegt in den vielen unterschiedliche Kunststoffen. Bei homogenen Stoffströmen, wie wir sie in der Landwirtschaft, beispielsweise bei Mulchfolien, vorfinden, könnte es besser gehen, aber auch hier ist die Recyclingquote in der EU unter 10%. Also Innovation im Recycling wäre essenziell, auch um komplexe Kunststoffmischungen, beispielsweise durch Pyrolyse- oder andere chemische Verfahren wieder zurückzuführen. Da ist einfach Innovation nötig.

Sie haben mehrfach die Notwendigkeit von Innovationen angesprochen, wie können diese am besten angestoßen werden? 

Hier ist man schon am richtigen Weg. Das zeigt das UNEA (United Nations Environment Assembly) 5.2-Abkommen von Anfang des Jahres. Man versucht, die Plastikverschmutzung zu beenden und bis 2024 ein internationales rechtsverbindliches Abkommen zu schließen. Auch die Verhandlungen in Paris vorletzte Woche sind sehr positiv.

Was kann die Forschung beitragen? 

In der Forschung arbeiten wir an vollständig bioabbaubaren Kunststoffen. Also an der Frage, wo können bioabbaubare Kunststoffe mit einer vernünftigen sozioökonomischen Begleitung sinnvoll eingesetzt werden? Wo lohnt sich das und wie verhindere ich, dass eine solche Innovation auf Grund der Abbaubarkeit, gegenteilige Auswirkungen hat und wieder zu mehr Plastikkonsum führt. Wie verhalten sich bioabbaubare Kunststoffe im Recycling Stream mit anderen Stoffen, wie PET? Werden sie auch in Realsituationen abgebaut, also im realen Kompost, im realen Boden und nicht nur theoretisch im Labor Verfahren?

Das gleiche gilt für Recycling. Da müssen wir in der Forschung noch erheblich weiterkommen. Wir sind beim Recycling nicht gut, weil es noch schlecht funktioniert für gemischte Kunststoffe oder Multilayer-Verpackungen wie der Tetrapack. Also im Prinzip brauchen wir mehr integrative Forschung über verschiedene Disziplinen hinweg.

Wie wichtig ist dabei die Rolle der Konsument*innen?

Sie haben die Verantwortung der Konsument*innen auf der einen Seite und Sie haben die Verantwortung der Industrie, der Produzent*innen und der Politik auf der anderen Seite. Man kann die Verantwortung weder alleine in die eine oder andere Richtung abwälzen.

Natürlich hat jede*r einen gewissen Hebel in der Hand, in dem man aktiv versucht Verpackung und Kunststoff zu reduzieren. Wenn sie ein T-Shirt kaufen, können sie sich überlegen, woraus es hergestellt ist, und ihr Kaufverhalten ändern. Sie können auch Müll vermeiden. Aber der große Hebel ist das nicht, weil 70% des Verpackungsmaterials anfällt, bevor die Ware in den Retail Bereich kommt. Und die Individualisierung des Handels über Amazon und Co. bedeutet auch zusätzliche Verpackungsmengen.

Dabei geht es nicht darum, dass der Kunststoffmüll nicht in der Umwelt landet. Es geht darum, dass er überhaupt erst hergestellt wurde. Es geht um den Energieverbrauch.

Welche Vorgaben braucht es von der Politik, was kann die Wirtschaft leisten?

Es ist wichtig, darüber nachzudenken, welche Anreizsysteme geschaffen werden können, dabei ist die Politik und die Wirtschaft gefragt. Welche Incentives und Steuern können gesetzt werden, um Plastik zu vermeiden und um Plastikabfall einen Wert zu geben? Wenn es eine weitere Verwendung für Plastik gibt und ich diesen Wert dem gebe, findet sich fast automatisch ein System, das diesen Wert – hier Plastik – wieder einsammelt.

Die Politik und die Wirtschaft sind auch in anderem Zusammenhang gefragt. Im Moment leben ca. 60% der Weltbevölkerung in Städten, Tendenz steigend. Wir gehen in Richtung 10 Mrd., da werden dann schon 70 – 80% in Städten leben. Das bedeutet aber, die Stadt hat eine große Macht durch Handlungen auf Umweltprobleme einzuwirken. Um zu verändern, müssen wir nicht auf internationale oder europäische Abkommen warten. Die Stadt Wien kann Lösungen anbieten, eine Vorreiterrolle einnehmen, voraus gehen und innovativ sein. Gut durchdachte Lösungen können eine Vorbildwirkung für andere Städte haben. Die werden adaptiert, in Shanghai ebenso wie in Peking. Wenn in Österreich also innovative Technologien entwickelt werden oder bei der Klimawende zeigt, was funktioniert, hat das eine ganz starke globale Wirkung.

Noch einmal zurück zum Thema Mikroplastik – wie kann man dieses Problem in Griff bekommen?

Um Änderungen herbeizuführen, liegt schon ein sehr großer Hebel in der Regulierung. Nehmen sie das Thema Reifenabrieb und Umweltfolgen von Reifenabrieb. Reifenabrieb macht etwa 50% des Mikroplastiks auf der Erde in Ländern mit hoher Automobildichte aus. In Kalifornien waren 70 – 80% des Plastiks in der Luft Kaliforniens Reifenabrieb. In Wien wird ein Großteil des Mikroplastiks in der Atmosphäre ebenso von Reifenabrieb stammen, insbesondere auf stark befahrenen Straßen. Das Problem beim Reifenabrieb ist, dass es noch keine Lösung gibt, um ihn zu reduzieren oder zu entfernen. Elektroautos haben vermutlich sogar mehr Reifenabrieb aufgrund des höheren Gewichts. Pro Jahr und Person wird in etwa ein Kilogramm Reifenabrieb abgegeben. Unklar ist, wie man den einfangen kann, da der Abrieb auf der Straße klebt und der Reifen auch bei Regen und Schnee haften soll.

Der Allgemeine Deutsche Automobilclub ADAC hat dazu eine sehr solide Studie erstellt. Es wurde ein Jahr lang eine Teststrecke mit ganz verschiedenen Autos befahren und anschließend gewogen, wie viel Reifen verbraucht wurde. Auf Basis dieser Daten kommt man auf das bereits genannte Kilo. Es konnte allerdings auch festgestellt werden, dass je nach Reifenfabrikat die Schwankungen zwischen 0,2 Kilo oder drei Kilo gelegen sind.

Das bietet Wege für die Regulierung bei gleicher Bewertung der Fahreigenschaften, also ohne Qualitätseinbuße. Bedeutung hat das vor allem hinsichtlich der Additive, der Zuschlags-Chemie, die in so einem Reifen drinnen sind. Reifen sind ein technisches Wunderwerk. Er muss wenig Sprit verbrauchen, leise sein, er soll gut haften, er soll bei Regen funktionieren. Diese Reifen sind heute viel besser als Reifen vor 20 Jahren. Also den Unterschied macht nicht das Gummi, sondern nur die Additive und da gibt es schon viele, die sehr toxisch sind. Unser Labor war das erste, welches Ende letzten Jahres publiziert hat, dass die Additive des Reifenabriebs in Salat aufgenommen werden. Bislang wusste man nicht, ob das im freien Feld passiert. Jetzt wissen wir, es passiert. Im Salat, den sie im Supermarkt kaufen, finden Sie Reifen Additive, wohl bekomms. Da ist auf der Regulierungsseite Handlungsbedarf.

Also wenn Sie mich fragen, wo ist Innovation nötig? Ernst gemeinte Green Chemistry. Nicht Greenwashing. Um nachhaltigere, umweltfreundliche „grünere“ Additive herzustellen, Stoffe, die sich wirklich vollständig in der Umwelt abbauen.

Wir haben jetzt unterschiedlichen Bereiche erörtert, wo Innovationen Wirkung entfalten können. Meine Abschlussfrage an Sie, was können Stiftungen in diesem Zusammenhang leisten?

Sie fragen mich als Wissenschaftler. Wenn ich sehe, welchen Schwung wir in Kanada beim Trottier Institute for Sustainability in Engineering and Design haben, welches von der Trottier Family Foundation (Matrox) finanziert wird, oder beispielsweise die Standford Doess School für Umwelt und Nachhaltigkeit. Diese basieren auf großen Spenden. Ich denke, so etwas fehlt in Österreich. Ein solider ausgestatteter Fonds für Umweltforschung.

Österreich könnte damit eine Vorreiterrolle im Bereich Umweltschutz spielen, indem es eine gut dotierte Umweltstiftung mit einem Board einrichtet, das über die Förderung von Projekten entscheidet. In diesem Board sollten Akteur*innen aus der Politik, der Industrie, der Landwirtschaft u.a. dabei sein. Also diejenigen, mit denen sie das jeweilige Problem lösen möchten. Die Projekte könnten sowohl auf der Forschungsseite als auch in der Anwendung im Rahmen von Urban Living Labs stattfinden, um integrative Lösungen zu fördern.

Warum sage ich das? Als Forscher*in haben Sie zu wenige Fördermöglichkeiten für interdisziplinäre Projekte. FWF oder FFG fördern doch recht stark disziplinäre Projekte, auch wenn es erste gute Ansätze gibt. In der EU-Förderung sieht dies besser aus. Alle diese Projekte laufen jedoch nur über einen sehr kurzen Zeitraum, welches ein enormes Problem darstellt, um funktionierende Lösungen zu finden. In Österreich fehlen Förderungen für einen längeren Zeithorizont, in dem sie zusammen mit den Menschen, die in der Stadt oder auf dem Land leben, etwas beforschen und umsetzen. Mit kurzlaufenden Projekten von drei Jahren kommen wir in Umweltthemen nicht weiter. Eine Stiftung hätte die Möglichkeit, ein Thema über zum Beispiel zehn Jahre laufen zu lassen und so eine größere Möglichkeit, Dinge konkret umzusetzen, besser als irgendein EU-Projekt.

Gibt es internationale Vorbilder?

International gibt es solche Stiftungen, insbesondere in den USA oder in Kanada. Zwei Beispiele aus einem Land so groß wie Österreich, um dem Klischee vorzubeugen, dies sei nur in Nordamerika möglich. In Dänemark gibt es beispielsweise die KR Foundation, die wiederum mit der The Velux Foundation kooperiert. Sie hat sich die Verwirklichung des dänischen Plans einer 70-prozentigen Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 zum Ziel gesetzt. Eine andere, sehr aktive Stiftung ist die Novo Nordisk Foundation, die sich ebenso der ökologischen Transformation widmet. Beide Stiftungen sind in Dänemark sehr aktiv und fördern Umweltforschung mit großen Volumen.